UNSER MOTTO : Alman Türk Dostluğu - Deutsch Türkische Freundschaft 

BERICHT vom Besuch der Gastgruppe im Rahmen der 
Jugendbegegnung "Grenzen überschreiten" 
vom 22.7.-5.8.1999 in Kiel und Essen 

1. Allgemeine Angaben

Eine Liste der Jugendlichen, die an der Reise teilgenommen haben, sowie eine Programmübersicht liegen gesondert bei.

2. Vorbereitung

2.1. Wie hat sich das Leitungsteam auf die Begegnung vorbereitet?

Die Vorbereitung des Gegenbesuchs geschah durch die Arbeitsgruppe, die sich nach der Fachtagung in Mersin im Oktober 1998 gegründet hatte. Diese Gruppe wertete die vergangene Reise aus und stellte im Kontakt mit Adil Atli aus Mersin das Programm für den Gegenbesuch zusammen.

2.2. Wie wurde die Gruppe vorbereitet?

Am 16. Juni 1999 fand ein Vorbereitungstreffen statt, zu dem alle Jugendlichen, die in den vergangenen Jahren an dem Begegnungsprogramm teilgenommen hatten, eingeladen wurden. Es kamen etwas zwanzig Jugendliche/ junge Erwachsene, die sich an der Ausrichtung des Gegenbesuchs sehr motiviert zeigten.

3. Durchführung und Ergebnisse der Veranstaltung

3.1. Welche Zielvorstellung wurde bei der Durchführung verfolgt und wie wurde sie umgesetzt?

Ziel der Jugendbegegnung war es, durch direkte Begegnung von Jugendlichen aus der Türkei und aus Deutschland Vorurteile abzubauen und das Verständnis der anderen Kultur zu fördern. Im Blick auf die Lebenssituation randständiger Jugendlicher in Deutschland verfolgt die Jugendbegegnung das Ziel, Gewaltbereitschaft abzubauen.

Durch die Unterbringung im Haus der Jugendtreff in Kiel-Ellerbek - das auch während des Besuchs geöffnet blieb - kamen die Gäste quasi von allein mit einheimischen Jugendlichen in Kontakt. Dazu vermittelte das Programm wesentliche Aspekte hiesiger Kultur:
- Alltagsleben (Stadtbummel, Fahrten in die Umgebung),
- Geschichte und Kultur (Besuch in Schleswig und Lübeck, Besuch einer Kirchengemeinde),
- Wirtschaft (Besuch der Werft HDW),
- Situation Jugendlicher (Gespräch mit einem Vertreter des Jugendamts, gemeinsame Unternehmungen mit deutschen Jugendlichen)
- Situation von Migranten (Besuche in einem deutsch-türkischen Sportverein und in der Bibliothek des Progressiven Türkischen Arbeitnehmervereins).

3.2. Welche Programmpunkte konnten bei der Durchführung verwirklicht werden?

Das Programm wurde im wesentlichen wie geplant durchgeführt. Das Interesse der Gäste an den für sie vorbereiteten Unternehmungen war groß; die Angebote wurden sehr interessiert angenommen. Einzelne Programmpunkte wurden bisweilen etwas abgekürzt, sei es wegen der sich im Laufe der Tage einstellenden Müdigkeit und Reizüberflutung, sei es, weil das Interesse an Stadtbummel und Einkäufen sehr groß war.

3.3. Welche Programmpunkte konnten nicht verwirklicht werden? (Begründung)

Auch wenn das Programm durchweg positiv angenommen wurde, brachte es doch an einigen Stellen nicht die erwünschten Kontakte: So brachten es die Sommerferien mit sich, daß die Jugendlichen, die im Herbst nach Mersin fahren, kaum in das Programm einbezogen werden konnten. Der Besuch in Altenholz am Mi., 28.7. brachte in dieser Hinsicht nicht den erwünschten Erfolg. Außerdem blieb die Resonanz auf den offenen Begegnungsabend am Sonntag, den 25. Juli leider gering; auch hier haben sich die Sommerferien ausgewirkt.

3.4. Welche Programmpunkte erwiesen sich als überflüssig bzw. wurden neu aufgenommen?

Den Bedürfnissen der Gäste entsprechend wurden öfter Zeiten zum Einkaufen in das Programm eingeschoben. Auch ein Abend am Strand und ein Besuch in einer Diskothek wurden zusätzlich in das Programm aufgenommen. Um den Besuch in Lübeck ertragreicher zu gestalten, wurde eine Stadtrallye ausgearbeitet.

Außerdem gestaltete sich die Verpflegung der Gäste anders als erwartet: Elfriede Mause, ein Mitglied des Vorbereitungsteams, das für die Verpflegung verantwortlich war, fiel wegen Krankheit kurzfristig aus. So wurden die Gäste weit mehr als geplant in die Verantwortung für die Verpflegung einbezogen.


3.5. Verhältnis zur Partnergruppe und zur Bevölkerung: Welche Probleme traten auf?

Der Kontakt zur direkten Bezugsgruppe, den Besuchern des Jugendtreffs in Kiel-Ellerbek, wurde schnell überschattet: Am zweiten Tag wurde einem Mädchen aus der Türkei eine Tasche mit Geld und Papieren gestohlen, wahrscheinlich durch einen Jugendlichen, der im Jugendtreff verkehrt. So war schnell klar, daß man auch im vermeintlich reichen und wohlorganisierten Deutschland nicht in einem Paradies gelandet war. Auch hier, so lernten die Besucher, hat man auf die eigenen Sachen aufzupassen und zu prüfen, mit wem man es zu tun hat.
Ansonsten verlief der Kontakt zu den Jugendlichen aus Kiel unproblematisch. Fast alle Teilnehmer/innen nahmen zum ersten Mal an einer Begegnungsreise teil. Sie waren neugierig und gespannt und im Umgang sehr offen. Für die einige Gastgeber bedeutete die Zusammensetzung der Gastgruppe aber zunächst eine Enttäuschung: sie trafen praktisch keine Bekannten wieder. Aber die Kontakte entwickelten sich, und am Ende war man sich einig in der Hoffnung auf ein Wiedersehen bei einer nächsten Begegnung.

Dennoch sind im Blick auf die Begegnungen der Jugendlichen einige Beobachtungen hinzuzufügen. Die Jugendlichen aus Kiel, mit denen die Gäste zusammenkamen, kamen überwiegend aus Migrantenfamilien. Das war für die Verständigung zwar ein enormer Vorteil, vermittelte den Gästen aber auch nur einen Ausschnitt aus dem Spektrum der Lebenswelten in Deutschland. Es fiel es den Gästen schwer, diese Jugendliche auch als Deutsche zu sehen. Sie konnten kaum verstehen, daß diese untereinander auch deutsch reden, obwohl sie doch "eigentlich" Türken seien. So sind die Gäste aber sicher für die Lebenssituation von Migranten sensibilisiert worden.

Außerdem stellten sich den Begegnungen mitunter soziale Grenzen in den Weg. Die Jugendlichen aus der Türkei waren überwiegend Gymnasiasten mit entsprechender Bildung und korrekten Umgangsformen. Die Jugendlichen, die den offenen Jugendtreff Ellerbek besuchen, kommen hingegen aus niedrigeren Bildungs- und Sozialschichten. Für manche wirkten die Gäste daher als "etwas Besseres", was die Kontaktaufnahme nicht eben förderte. Soziale Barrieren waren hier prägender als nationale oder sprachliche Grenzen.

Und schließlich hatte die Gastgruppe eine viel verbindlichere innere Struktur als die, denen sie begegneten. Ehe deutsche Jugendliche für die Übernahme einzelner Aufgaben gewonnen werden konnten, hatten die Gäste aus der Türkei sie mitunter schon erledigt. Hier machte sich bemerkbar, daß es sich um eine Pfadfindergruppe handelte, die in ihrer Struktur mit einem offenen Jugendtreff gar nicht zu vergleichen ist.

3.6. Wie wurden die unter den Teilnehmern bestehenden Sprachschwierigkeiten überwunden?

Wenn man die gemischte Gruppe deutscher und türkischer Jugendlicher bei ihren Unternehmungen begleitete, konnte man meinen, Sprachschwierigkeiten spielten bei dieser Begegnung gar kleine Rolle. Viele der Gäste sprachen gut englisch, einige auch deutsch, und viele der Jugendlichen aus Kiel sprechen türkisch. Doch es ist zu differenzieren: Die deutsch-türkischen Jugendlichen übersetzten oft nur ungern; vielleicht weil sie ihre Zweisprachigkeit selbst gar nicht als besondere Gabe empfinden. Und diejenigen Jugendlichen, die nicht türkisch und kaum englisch sprachen, kamen nur schwer in Kontakt. So waren die Möglichkeiten zu Kontakten unterschiedlich verteilt: wer gut Fremdsprachen sprach, hatte es leicht, wem dies schwer fiel, blieb eher im Kreis der eigenen Gruppe. Auch Bildungsgrenzen können Annäherung erschweren.

3.7. Welche Schwierigkeiten traten in der Gruppe auf?

Die Gastgruppe kam je zur Hälfte aus zwei weit voneinander entfernten Orten: Aus Mersin an der Südküste und aus Bozüyük in der Nähe von Eskisehir im Nordwesten des Landes. Für Außenstehende war das aber nicht zu spüren: Die Gruppe wuchs schnell zu einer zusammen. Intern gab es sicher Rollenzuschreibungen, aber daß jemand zu einem Außenseiter wurde, konnten wir nicht beobachten.

Spürbar wurde aber im Laufe der Tage eine gewisse Ermüdung. Die Eindrücke waren zahlreich und die Nächte kurz, so wurden einige Jugendliche ab und zu etwas lustlos, konnten sich für interessante Dinge dannn aber auch wieder schnell begeistern.

4. Wie wird die Begegnung ausgewertet?

4.1. In der Gruppe

Zur Auswertung der Begegnung wurde am Ende der Tage in Kiel ein differenziertes Feedback erhoben, in dem die Programmpunkte, aber auch Unterbringung, Betreuung und Kontakte ausgewertet wurden. Dabei ergab sich ein erfreuliches Bild: Die Rahmenbedingungen der Reise und das Programm wurden überwiegend positiv bewertet.

Ein erstes Auswertungstreffen des deutschen Leitungsteams fand gleich nach der Begegnung statt, ein weiteres wird im September folgen. Außerdem planen einige der begleitenden Jugendlichen aus Kiel, sich am Wettbewerb der Körber-Stiftung für deutsch-türkischen Jugendaustausch zu beteiligen. Dazu ist ein gründliches Aufarbeiten der Erfahrungen des Jugendaustauschs erforderlich.

4.2. In der Öffentlichkeit und in der Presse

Der zweisprachige Gottesdienst, den die Kieler Michaeliskirche anläßlich des Besuchs der Gastrgruppe durchführte, wurde in einer kleinen Notiz in der örtlichen Presse angekündigt. Gegen Ende des Besuchs in Kiel wurde die Gastgruppe in einem größeren Artikel mit Bild in den "Kieler Nachrichten" vorgestellt.



5. Wie werden die in der Begegnung geschaffenen Kontakte weitergeführt und vertieft?

Im Oktober wird eine Gruppe aus dem Jugendtreff in Altenholz bei Kiel nach Mersin fahren.

Fährt auch eine Gruppe aus Essen ???


6. Anschriften von und Angaben über Kontaktpersonen (Institutionen) im Begegnungsland (-ort), die zum Gelingen der Begegnung beigetragen haben:

Begegnungspartner war der freie Pfadfinderverband der Provinz Icel; dessen Vorsitzender ist Adil Atli (c/o Inci Motel, Akkum, Silifke, Icel, Türkei).

Leiterin der Gruppe aus Bozüyük war die Lehrerin Nural Ayaz (100.yil Ilkögretim Okulu).

7. Kurzbeschreibung der Begegnungsstätte mit Anschrift und wertender Stellungnahme

Das Haus der Jugend in Kiel-Ellerbek ist ein Jugendtreff in Trägerschaft der Stadt Kiel. Er verfügt über einen Saal und verschiedene Gruppenräume. Angeschlossen ist ein städtischer Kindergarten. In den Gruppenräumen des Kindergartens konnten die Gäste auf Matratzen schlafen und dort auch die Waschräume benutzen. Für die Unterbringung von Gästen ist das Haus nicht gedacht und sicher auch nicht optimal geeignet. Dennoch empfanden die Gäste - bei aller Bescheidenheit - die Kommunikations- und Freizeitmöglichkeiten, die der Treff ihnen bot, als Vorteil.

8. Wo liegen die besonderen Schwierigkeiten bei der Begegnung in diesem Land oder mit Begegnungspartnern dieses Landes? und Vorschläge für weitere Begegnungen in diesem Land oder mit Begegnungspartnern dieses Landes (methodisch und inhaltlich):

1. Soziale Unterschiede

Es wurde deutlich, daß soziale und Bildungsgrenzen die Begegnung der Jugendlichen erschwert haben. Ist - im Blick auf das Ziel der Gewaltprävention - die Zielgruppe in Deutschland eher unter Jugendlichen niedriger Sozial- und Bildungsniveaus zu suchen, so lassen sich in der Türkei hauptsächlich Jugendliche aus gehobenen Schichten für eine internationale Jugendbegegnung gewinnen. Dies gilt es konzeptionell zu bedenken und in der Gestaltung weiterer Begegnungsprogramme zu berücksichtigen.

2. Deutsche - Türken - Migranten

Außerdem ließ die Begegnung die schwer zuzuordnende Situation der deutsch-türkischen Migranten offensichtlich werden. Daher sollte im Rahmen einer solchen Begegnung verstärkt mit ihnen an Fragen ihres Selbstverständnisses gearbeitet werden. Außerdem sollten Besucher aus der Türkei auf die multikulturelle Situation in Deutschland vorbereitet werden.

3. Gastfreundschaft und Partizipation

Im Vergleich scheinen Türken ein klareres Bewußtsein ihrer selbst und ihrer Kultur zu haben als Deutsche. Im Vollzug der Jugendbegegnung hat sich das dahingehend ausgewirkt, daß die Gäste die Gestaltung der Mahlzeiten immer mehr selbst übernommen haben. So wurde durchgehend türkisch gekocht, und das wahrscheinlich nicht nur aufgrund des kurzfristigen Ausfalls der Köchin. Dem Verantwortungsgefühl und dem Selbstbewußtsein der türkischen Gruppenleitung hatten wir Deutsche nichts entgegenzusetzen. In dieser Hinsicht haben wir unsere Rolle als Gastgeber noch nicht gefunden - und sie ist wahrscheinlich in der Begegnung mit Türken schwer zu finden. Es wäre aber wichtig, hieran weiter zu arbeiten.

4. Sommerferien

Außerhalb der hiesigen Sommerferien wären sicherlich mehr Begegnungen mit deutschen Jugendlichen möglich gewesen. Auch wenn zur Zeit keine Terminalternative denkbar ist, wäre ein Besuch außerhalb der Schulferien doch in mancher Hinsicht ertragreicher.

9. Freier Bericht über Verlauf und Ergebnisse

Die Jugendlichen aus der Türkei haben sich - soweit wir das beobachten konnten - intensiv mit Ihren Eindrücken auseinandergesetzt. Vieles an den Lebensbedingungen hier ist ihnen aufgefallen: Die Stadt, der Straßenverkehr, aber auch der in ihren Augen "kühle" Umgang der Menschen miteinander. Immer wieder wurde darüber gesprochen und sich ausgetauscht.

Das umfangreiche Programm und die interne Dynamik der Gruppe ergaben im Laufe der Tage einen enormen "drive": Man wuchs immer enger zusammen, die Atmosphäre wurde immer dichter.
So hat diese Reise für die Teilnehmer/innen sicher sehr prägende Eindrücke hinterlassen.